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Schulsozialdienst

Corona als digitaler Freifahrtschein?


Ein Beitrag von Sabine Kiesling – Schulsozialdienst.ch


Keinen Verein besuchen, keine Freunde treffen, nicht mal gross rausgehen dürfen und dazu noch den halben Tag Schul- bzw. Hausaufgaben machen – da ist Langeweile daheim mehr als vorprogrammiert. Und was hilft besonders einfach und gut gegen Langeweile? Der Bildschirm bzw. irgendeiner der vielen Bildschirme, die mittlerweile fast überall zu Hause verfügbar sind. Egal ob Fernseher, Computer, Konsole, Tablet oder Smartphone, fast jeder findet recht schnell eine Serie, ein Game oder eine App, die für Unterhaltung sorgt. Das gilt zu grossen Teilen für Kinder genauso wie für Erwachsene. Durch die Massnahmen und Einschränkungen in der Corona- Zeit hat sich daran vermutlich auch nicht viel geändert, vielleicht ist die Nutzung sogar noch intensiver geworden? Gleich geblieben sind aber mit grosser Sicherheit die Elternfragen nach der «richtigen» Bildschirm- und Mediennutzung:


«Was?, Wie oft?, und Wie lange?»

Gute Antworten auf diese Fragen zu finden scheint aktuell noch schwieriger zu sein als zu «normalen» Zeiten, und einfache Regeln oder gar Pauschal-Rezepte sind nahezu unmöglich. Die derzeitigen Umstände und besonderes die gestiegenen täglichen Leerlaufzeiten der Kinder bringen für alle Beteiligten im Familienalltag grosse Herausforderungen und auch viel Frustration mit sich.


Dass sich in dieser Situation die Bildschirmzeiten verlängern, ist in meinen Augen legitim und nachvollziehbar. Auch ich bin im Homeoffice und auch meine Kinder sind den ganzen Tag zu Hause und auch mein Haushalt soll am Abend soweit wie möglich gemacht sein. Darum sitzt auch mein Sohn etwas mehr als sonst vor dem Bildschirm. Trotzdem ist mein pädagogisches Gewissen dabei nicht schlechter oder besser als sonst. Ich habe schon vor der Krise einen Weg für mich gefunden, den Medienkonsum meiner Kinder so einzuschätzen, dass ich für mich im Alltag relativ einfach und klar entscheiden kann, wie viel ich erlaube und was nicht.


Hierbei orientiere ich mich nicht an festgelegten Zeiten und Zahlen, denn Qualität und Quantität der Mediennutzung kann nicht in allen Fällen gleich beurteilt werden. Auch verändern sie sich mit dem Alter der Kinder und der Vielfalt der genutzten Medien. So sind z.B. zwei Stunden youtube-Tutorials schauen für das Erlernen eines neuen Songs auf der Gitarre anders einzuordnen als eine Stunde GTA zocken auf der Konsole. Auch 60 Minuten Chat auf Skype oder Zoom mit der besten Freundin oder den Grosseltern sollte anderes bewertet werden als 45 Minuten wahllos durch Videos auf TikTok oder youtube zu scrollen. Von der Zeit, die vor digitalen Lernmedien der Schule verbracht werden (müssen) mal ganz abgesehen. Das heisst nicht, dass meine Kinder unbegrenzt schauen oder spielen dürfen, sondern dass ich mich bei der Erlaubnis oder auch der Beschränkung der Mediennutzung anders orientiere.


Ein für mich sinnvollerer Ansatz ist der Einbezug folgender Überlegungen:

«Welche Medienkompetenz hat mein Kind?», d.h. weiss mein Kind innerhalb seiner digitalen Welt, wie und was es da schaut und tut?


«Welche Beziehungsinseln hat mein Kind?», d.h. hat mein Kind ausserhalb der digitalen Welt ausreichend tragfähige und verlässliche Beziehungen und lebt diese auch?


«Welche Spielorte hat mein Kind?», d.h. hat und nutzt mein Kind ausserhalb der digitalen Welt ausreichend Möglichkeiten für analoges Spiel, für reales Experimentieren und Ausprobieren?


Auch diese Herangehensweise hat nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Anwendbarkeit in jedem Einzelfall. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass, wenn diese drei Punkte erfüllt werden, gute Voraussetzungen gegeben sind für einen guten und gesunden Umgang mit den digitalen Medien.


Zur Verdeutlichung abschliessend noch ein Beispiel aus meinem Corona-Alltag:


Fragt mich mein Sohn am Abend, ob er auf Netflix noch eine zusätzliche Folge «Lego Ninjago» schauen darf, stelle ich mir folgende konkreten Fragen:


· Wie konnte sich mein Sohn an diesem Tag von den Medien lösen (z.B. als er am Mittag eine Folge geschaut hat). War er schnell wieder orientiert in der analogen Welt? Wie hat er das letzte Mal reagiert, als er am Abend eine zusätzliche Folge geschaut hat?


· Hat er heute schon ausreichend und vertieft gespielt (analog und nicht digital)? Hat er Spielangebote gerne genutzt? Wie hat er sich bei der Wahl zwischen den Möglichkeiten «Medien-Nutzung» und «Spielen mit Freunden oder Familie» entschieden? Bevorzugt er in der Regel den analogen Kontakt oder fällt die Entscheidung mehrheitlich zu Gunsten der digitalen Welt?


· Habe ich heute schon ausreichend Zeit mit ihm verbracht? Erzählt mir mein Sohn regelmässig von den Dingen, die ihn besonderes bewegen (positiv wie negativ, auch in Bezug auf das digitale Erleben)?


· Zur Folgenauswahl: Muss es vor dem Schlafen ausgerechnet «Ninjago» mit den dramatischen und schnellen Schnittwechseln sein? Oder wie wäre es beispielsweise mit einer Folge «Familie Hauser» von Playmobil oder Benjamin Blümchen?


Diese Herangehensweise ist sicherlich auf den ersten Blick etwas aufwendiger und komplexer als z.B. die Festlegung einer konkreten Dauer der Bildschirmzeit. Jedoch gibt sie mir ein besseres Gefühl im Bezug auf die Entwicklung meiner Kinder, sowohl im Bereich der Mediennutzung, als auch allgemein. Und wer weiss, was uns die Zukunft noch bereithält? Vielleicht setzen sich digitale Lernmethoden in der Schule weiter durch und es wird noch schwieriger den Überblick über Bildschirmzeiten zu behalten?


Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall Gelassenheit in Bezug auf die Mediennutzung in Ihrer Familie.


Weiterführendes und Hilfreiches zum Thema Medienkompetenz finden Sie auch unter folgenden Links:



Bildquelle: Bild von Pixabay

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