Ein Beitrag von Sabine Kiesling- schulsozialdienst.ch
Donnerstag, 11 Uhr. Wie jede Woche um diese Zeit kommen vier Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse pünktlich in mein Schulsozialdienst- Büro, welches ab jetzt für eine Lektion ihnen gehört und «Ideenbüro» heisst. Sie leeren ihren gelben Ideenbüro- Briefkasten und stellen die Leuchttafel vor die Türe. Spätestens jetzt wissen alle im Schulhaus, dass das Ideenbüro geöffnet hat. Im Büro angekommen, lesen die vier Schülerinnen und Schüler interessiert und motiviert die Anmeldezettel der anderen Schülerinnen und Schüler, prüfen das Datum, deren aktuelle Sorgen und Probleme sowie neue Ideen. Sie setzen Prioritäten, verteilen Rollen und besprechen den Ablauf der Lektion. Während zwei der vier Schülerinnen und Schüler dann die betreffenden Kinder, welche sich über den Zettel selbst angemeldet haben, aus der Klasse holen, bereiten die anderen beiden den Raum vor. Sie richten den Tisch, die richtige Anzahl der Stühle, Sugus für die Nerven 😉 und den Laptop (oder Schreibutensilien) für das Protokoll. Dabei besprechen sie kurz wer von ihnen heute die Gespräche leitet, wer das Protokoll führt und ob sie Unterstützung von mir möchten oder nicht. Wie so oft, leiten sie auch heute das Ideenbüro allein.
Über Anmeldezettel können alle Schülerinnen und Schüler der Schule Wallbach ab Kindergarten bis zur 6. Klasse Hilfe von den Ideenbüro- Beratern (ausgewählte Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse) erfragen. Diese Hilfe wird mittlerweile bei Problemen aller Art in Anspruch genommen, meist handelt es sich dabei um «kleinere» Schüler- Konflikte. Begleitet bei ihrer Tätigkeit werden sie von mir, der Schulsozialarbeiterin. Ich habe nach Rücksprache mit Schulleitung und Lehrpersonen dieses Partizipationsprojekt vor vier Jahren in Wallbach eingeführt. Zu meinen Aufgaben gehören die Durchführung des jährlichen Bewerbungsverfahrens, die Ausbildung der Ideenbüro- Berater, deren Einarbeitung und die aktive Begleitung des Ideenbüros im Schulalltag über das ganze Schuljahr hinweg. Die beratenden Schülerinnen und Schüler lernen von mir und vor allem während ihrer Arbeit im Ideenbüro Grundlagen der Gesprächsführung und halten dabei wichtige Beratungsregeln wie Schweigepflicht und Neutralität ein. Sie helfen gleichaltrigen oder jüngeren Kindern, indem sie ihnen aufmerksam zuhören, Vertrauen schenken, sie beraten und bei ihrer Konfliktlösung unterstützen. Weiter entwickeln sie eigene Ideen zur Verbesserung der Schulkultur, nehmen Ideen anderer Schülerinnen und Schüler ernst, versuchen diese umzusetzen, sind kreativ und schreiben Protokolle. Dies alles kann sehr anstrengend für die Ideenbüro- Berater werden, zumal sie zusätzlich aufgrund ihrer Tätigkeit wöchentlich auf eine Schulstunde verzichten und diese in ihrer Freizeit nachholen. Auch wird nicht jede Idee bewilligt und umgesetzt, die im Ideenbüro besprochen wird, beispielsweise der Wunsch nach einem Pool auf dem Schulhausdach 😉 Trotzdem möchten mittlerweile nahezu alle Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse als Ideenbüro- Berater tätig sein und schätzen diese verantwortungsvolle Aufgabe sehr. Für dieses Schuljahr haben sich 18 Schülerinnen und Schüler für die Arbeit im Ideenbüro beworben und die Auswahl aus den allesamt sehr guten Bewerbungen fiel der Klassenlehrperson und mir richtig schwer. Doch nicht nur die Tätigkeit als Berater, sondern auch die angebotene Hilfe der Ideenbüro- Berater wird sehr gewünscht, so hat es im gelben Briefkasten eigentlich immer Anmeldezettel. Dies wundert nicht, da die beratenden Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen selbst Experten für die Probleme Gleichaltriger oder Jüngerer sind und nicht selten sogar bessere Lösungen als die Erwachsenen oder die Schulsozialarbeiterin finden 😉.
Hat es dennoch einmal keine Fälle im Briefkasten, nutzen die Ideenbüro- Berater die Zeit zur Entwicklung eigener Ideen. Sie zeigen dabei grossen Ehrgeiz und Mut und haben auch immer wieder Erfolg: In Wallbach hat das Ideenbüro mit Hilfe von Unterschriftenlisten und Gesprächen mit Schulleitung und Gemeinde, bereits Rampen für den Pausenplatz und eine Überdachung für ihre Scooter bewilligt und installiert bekommen. Aktuell beantragen sie bei der Gemeinde einen vergrösserten Unterstand für den Pausenplatz.
Das Ideenbüro ist ein Raum, der durch Wertschätzung, Vertrauen, Offenheit und Lösungsorientierung geprägt ist.
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Donnerstag, 11:35 Uhr: Ich komme zurück in mein Büro (10 Minuten vor Ende der Lektion). Die Ideenbüro- Berater erzählen mir von ihrer heutigen Arbeit. Sie haben zwei Konflikte jüngerer Schüler gelöst und den Fussballplan, der die Nutzung des Fussballplatzes auf dem Pausenhof regelt, für das neue Schuljahr angepasst und in den Klassenzimmern aufgehängt. Dieser wurde vor längerer Zeit im Ideenbüro unter Einbezug aller Klassen entwickelt. Ausserdem zeigen sie mir erste Pläne für vier Bodentrampoline, die sie sich für den Pausenplatz wünschen. Diese Idee sei von ihnen selbst, erklären sie stolz. Sie überlegen laut, dass drei zusätzliche Schaukeln auch nicht schlecht, aber vielleicht zu teuer wären. Wenn sie alles im Detail geplant haben, möchten sie damit nächste Woche zur Schulleitung und die Idee vorstellen. Danach möchten sie für ihre Idee Spenden sammeln. Obwohl es mittlerweile 11:45 Uhr ist und die Schülerinnen und Schüler nun Mittagspause hätten, bitten sie mich doch noch kurz mit ihnen raus auf den Pausenplatz zu kommen. Dort zeigen sie mir mit Zollstock und selbst erstellten Skizzen ihren Trampolinwunschplatz. Während sie sich danach mit etwas Verspätung auf den Weg zum Mittagstisch machen, höre ich sie weiter planen, dass sie nächsten Donnerstag unbedingt noch die 3. Klässler fragen möchten, was aus dem Ideenbüro- Umweltprojekt vom letzten Jahr geworden ist.